Rezension

Jens Lapidus – Schweigepflicht

Darf ich euch ein neues Herzbuch vorstellen? Gleichzeitig hasse ich es aber auch an dieser Rezension zu arbeiten. Es ist mir unheimlich schwergefallen. Als jemand der eigentlich einen großen Bogen um skandinavische Krimis macht, bin in ich von mir selbst überrascht, wie leicht mich Schweigepflicht überzeugt hat. Dabei können 640 Seiten nicht nur auf den ersten Blick abschreckend wirken. Doch wer tief in die Geschichte eingetaucht ist, der merkt: Dieses Buch ist jede Seite wert.

In einem schwedischen Sommerhaus wird eine verstümmelte Leiche entdeckt. Keine 200m vorm Haus liegt ein Mann bewusstlos in seinem PKW. Er wird direkt festgenommen und angeklagt. Seine sehr junge Anwältin Emelie Janson versucht alles um herauszufinden, was passiert ist, doch sowohl Anklage als auch ihr Mandant schweigen unerbittlich.

640 Seiten. Ein Monster. Aber für diese verzwickte und komplexe Geschichte hätte es auch keine Seite weniger sein dürfen. Es hat 250 Seiten gebraucht bis ich einen ersten Überblick hatte um wen und was es alles geht. Denn das Buch ist aus vielerlei Perspektiven geschrieben, die sich anfänglich gar nicht alle auseinanderdröseln oder zusammenpuzzeln lassen. Manchmal habe ich mich gefragt: Wozu brauche ich denn hier all die Namen und 50 Seiten später taucht ein Name in einem Handlungsstrang auf, dem ich ihn gar nicht zugeordnet hatte und langsam entstanden Verbindungen zwischen den verschiedenen Perspektiven.

Emelie Janson hat grade erst ihr Jurastudium beendet. Das Buch beginnt quasi mit ihrer Abschlussprüfung. In der Woche darauf soll sie direkt in einer Kanzlei als Wirtschaftsanwältin beginnen, doch ein ihr unbekannter Mann nennt sie als seine Anwältin. Im Zwiespalt zwischen Brotjob und dem Wunsch das richtige tun zu wollen nimmt Janson den Fall an und stochert in alten Wunden herum.

Teddy war Jahre lang im Gefängnis, weil er von einigen Jahren Mats Emanuelsson für die jugoslawische Mafia in Stockholm entführt hatte. Jetzt arbeitet er für die gleiche Kanzlei wie Janson und unterstützt sie bei ihren Ermittlungen. Er bereut seine damalige Tat und möchte nicht glauben, dass Emmanuelsons Sohn nun jemanden umgebracht hat. Es hat ein bisschen was von Wiedergutmachung, aber er hat eben auch noch Kontakte bei denen er versucht Hinweise zu bekommen.

Mats Emanuelsson arbeitete als Banker, war spielsüchtig und hatte sich mit den falschen Leuten eingelassen. Vor einigen Jahren nahm er sich das Leben und wir erfahren seine Vorgeschichte nur aus alten inoffiziellen Vernehmungsprotokollen, wo er unter dem Decknamen Marina erzählt, was er für die jugoslawische Mafia tun musste, um seine Spielschulden zu begleichen. Dabei stößt er irgendwann auf einen Computer und Dateien, die nicht für seine Augen bestimmt waren.

Sein Sohn Benjamin wird nun am Tatort gefunden und direkt angeklagt. Da die Staatsanwaltschaft und Benjamin selbst schweigen, muss Janson alleine herausfinden was in jenem Sommerhaus passiert ist.

Teddys Neffe Nikola wird zu Beginn der Geschichte aus einer Rehabilitationsanstalt für Straffällige Jugendliche entlassen. Er lässt sich aber direkt wieder von seinen kriminellen Kumpeln in die Arme nehmen und bewegt sich wieder im zwielichtigen Milieu, wie einst sein Onkel.

Vielleicht habt ihr bereits eine grobe Vorstellung davon, wie verzwickt es ist, wenn stetig zwischen so vielen Perspektiven gewechselt wird. Zudem sind die Kapitel nicht kurz. Ich hatte jedenfalls sehr großen Spaß beim Entdecken der Figuren und aller Zusammenhänge. Jens Lapidus ist ein wahrer Meister darin, seine Charaktere durch unterschiedliche Akzente und Sprachstile voneinander abzugrenzen und ihnen eigene Stimmen zu geben. Schweigepflicht ist allerdings kein einfaches Buch für mal eben zwischendurch. Ich musste mir schon eine ruhige Minute suchen und mich sehr auf alles konzentrieren, um nicht ein wichtiges Wort zu überlesen. Während man am Anfang langsam in die Geschichte wächst, klotzt das letzte Drittel actionmäßig schon ein bisschen rein. Mir haben der Showdown und die Auflösung des Mords auf jeden Fall sehr gut gefallen. Nix an den Haaren herbeigezogenes und einfach sehr schlüssig alle Fäden zusammengeführt.

Und auch wenn ich skandinavische Krimis sonst nicht so gerne lese, weil es mir zu viel Geplänkel der ermittelnden Figuren gibt muss ich sagen, dass es sich hier sehr ausgewogen in Grenzen hielt oder eben doch Fallrelevant war. Das kann bei mir natürlich direkt extra Punkten! Schweigepflicht kann ich Thrillerfans nur empfehlen!


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Das Buch habe ich selbst gekauft. Für die Rezension habe ich kein Geld erhalten.
Der nachfolgende Link führt zur Internetseite des Verlages.

Jens Lapidus | Schweigepflicht
aus dem schwedischen von Susanne Dahmann
btb Verlag | 640 Seiten

5 thoughts on “Jens Lapidus – Schweigepflicht

  1. Ok, dann bin ich also keine Ausnahme. Ich tue mich mit schwedischen Krimis auch eher schwer. Puh, das klingt wirklich nach einem schweren Buch. Aber wenn es gut geschrieben ist und auch noch das Ende überzeugen kann, ist es doch klasse.
    Ich glaube ich werde weiterhin einen Bogen um die schwedischen Krimis machen. Ein Mankell und die beiden Bücher von Kristina Ohlsson haben mir erstmal gereicht. Da bleibe ich bei meiner Kathy Reichs mit ihrer Bones Buchreihe.
    liebe Grüße
    Sandra

    1. Total spannend. Ohlsson und Mankell sind sonst auch die einzigen Schwedenkrimis, die ich sonst schon mal gelesen habe 😀

  2. Ich bin ein Fan der Skandinavien-Krimis und -Thriller.

    Mehr als 600 Seiten hätten mich jetzt gleich mal abgeschreckt, gut, dass Du gleich geschrieben hast, dass die auch notwendig waren, ich bin da immer skeptisch, ob das Buch dann Längen hat.

    LG
    Daggi
    #litnetzwerk

    1. Hallo Daggi,

      kann ich total nachvollziehen dass 600 Seiten einen erstmal erschlagen. Hier lohnt es sich allerdings sehr!

      Viele Grüße
      Chrissi

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