Interview

Wir lesen Frauen – Adventskalender 14.12. – Nicole Siemer

Der #WirlesenFrauen-Neujahrskalender präsentiert euch vom 1.12.2019 bis zum 6.1.2020 63 Autorinnen und ihre Werke. Lernt neue Schriftstellerinnen kennen und findet großartigen Lesestoff! Heute bei mir: Nicole Siemer, die als Autorin Tod sät. Auf Schreibtrieb bei Eva lernt ihr heute Catherine R. Striker kennen.

Schreibtrieb: Liebe Nicole, #WirlesenFrauen setzt sich für Autorinnen ein. Glaubst du, Frauen schreiben anders als Männer und andere?

Nicole Siemer: Ich glaube, jeder Autor und jede Autorin ist auf seine/ihre Art einzigartig. Jede Person hat ihren eigenen Stil, ihre Stärken und Schwächen. Zudem sollten Autorinnen die Romane schreiben dürfen, die ihnen zusagen, ohne sich hinter männlichen Pseudonymen verstecken zu müssen.
Daher beantworte ich die Frage mit einem klaren: Jain. Frauen schreiben anders als Männer, ja, aber nur, weil jeder Autor/ jede Autorin sich durch den ganz persönlichen Scheibstil hervorhebt.

Schreibtrieb: Wurdest du als Frau schon einmal diskriminiert?

Nicole Siemer: Nicht direkt. Aber es passiert nicht selten, dass ich seltsam angesehen werde, wenn ich sage, ich schreibe Horror. Nicht wenige Leute sind leider noch der Meinung, dass Frauen ›nur‹ Romantik schreiben können, daher habe ich es mir (wie viele andere Horror- und Thriller-Autorinnen) zur Aufgabe gemacht, die Leute eines Besseren zu belehren 3:)

Schreibtrieb: Es wintert eindeutig. Was ist dein Patentrezept für Weihnachtsstimmung?

Nicole Siemer: Manchmal erscheint es mir, als wäre es modern Weihnachten doof zu finden. Die Leute nörgeln über die Weihnachtsmusik und die Hektik und die Kälte und überhaupt ist das Fest der Liebe blöd und sollte am besten abgeschafft werden.

Nein! Ich liebe Weihnachten! Ich liebe Schnee und ich liebe es abends durch die Stadt zu laufen und alles erleuchtet zu sehen. Ich genieße es, im Winter in einer Decke eingemummelt vor dem Fernseher zu sitzen und lauter Kerzen um mich zu haben. Und ja, ich mag Weihnachtsmusik. Gut, ›Last Christmas‹ gehört nicht dazu, aber es gibt viele tolle Weihnachtslieder und nicht alle sind ruhig und besinnlich. Auch für Liebhaber von Rock (dazu gehöre ich) ist was dabei. Mein liebstes Weihnachtslied stammt vom Trans-Siberian Orchestra und heißt ›The Lost Christmas Eve‹ – hört unbedingt mal rein!

Den Trubel bei den Einkäufen dagegen kann ich nicht ausstehen. Die Läden sind überfüllt und viele Leute unhöflich. Daher kaufe ich Geschenke meist online. Ich schenke gern und probiere, immer möglichst originell zu sein.

Nach Halloween ist Weihnachten mein liebstes Fest. In der dunklen Jahreszeit springen mir die interessantesten Plotbunnys ins Gesicht.

Schreibtrieb: Schreibst du nach (Zeit-)Plan?

Nicole Siemer: Ja. Ich schreibe monatlich Kurzgeschichten für meinen Blog dreiwörter.home.blog, [bitte verlinken] die ich ohne Testleser und Lektorat veröffentliche. Dafür setze ich mir die Frist, die Geschichte bis zur vorletzten Woche des Monats fertigzuschreiben und die übrigen Tage zum korrigieren zu nutzen. Manchmal bin ich schneller fertig, meistens gerate ich aber unter Zeitdruck. Das brauche ich allerdings auch, da es mich motiviert und auch bei Lustlosigkeit dazu drängt, weiterzuarbeiten.
Bei Romanen lasse ich es lockerer angehen. Da setze ich mir eine grobe Frist, bis wann ich das Manuskript veröffentlichen möchte und kleinere Zwischenfristen für die Rohfassung, das Lektorat, die finale Überarbeitung und dem Buchsatz. So habe ich eine ungefähre Zeit im Blick und bisher hat das super geklappt 🙂
Ansonsten mache ich seit 2015 jährlich beim NaNoWriMo (national novel writing month) mit und, wenn ich die Zeit habe, auch bei der etwas ruhigeren Variante, dem CampNaNoWriMo, bei dem die Teilnehmer ihr Wortziel für den Monat selbst festlegen dürfen.

Schreibtrieb: Der NaNo ist jetzt ja vorbei. Woran schreibst du gerade?

Nicole Siemer: Aktuell stecke ich mitten in der finalen Überarbeitung meines Romans Akuma, der im Frühjahr erscheinen soll und in dem es um einen Dämon geht, der lernen möchte, die Gefühle der Menschen zu verstehen. Nebenbei schreibe ich einen Psychothriller, der schon seit Jahren in meinem Kopf herumspukt und an den ich mich zuvor nicht herangetraut habe. Ein weiterer Thriller ist ebenfalls in Planung.

Für 2020 plane ich vorerst nur einen Kurzgeschichtenband mit dem großen Thema: Phobien. Der Band soll aus 13 Geschichten bestehen, die jeweils von unterschiedlichen Ängsten handeln.
Monatliche Kurzgeschichten veröffentliche ich natürlich auch weiterhin auf meinem Blog.

Schreibtrieb: Wie wichtig ist die Vielfalt in deinen Geschichten?

Nicole Siemer: Ich versuche, meine Leser gerne zu überraschen. Lege falsche Fährten und probiere mich an möglichst ausgefallenen Plottwists. Während des Lektorats und der Übergabe an die Testleser  freue ich mich dann immer, wenn relativ zu Beginn Kommentare kommen wie: »Aha, das wird also passieren!« Und später ein: »Oh, doch nicht.« folgt 😀 Ich möchte meine Leser zum Nachdenken anregen und hoffe, dass mir das bisher gelungen ist.
Zudem teste ich gerne unterschiedliche (Sub-)Genres aus. So wurde mein Debütroman »Todessamen« ein Fantasyroman, der psychologischen Horror beinhaltet und sogar ein bisschen Romantik 🙂

Schreibtrieb: Wir Autorinnen haben zu unseren Figuren ja immer besondere Verbindungen. Welches ist deine liebste Figur aus deinen Büchern?

Nicole Siemer: Akuma. Ich mag aber noch nicht zu viel über ihn verraten. Ihr werdet ihn im Frühjahr 2020 kennenlernen 🙂

Schreibtrieb: Wem sollte man dein Buch schenken?

Nicole Siemer: Allen, die psychologischen Horror mögen, der zum Nachdenken anregt.
Horror ist ein vielschichtiges Genre und bedeutet nicht automatisch fliegende Gedärme, Zombieapokalypsen und Spukhäuser. Horror findet sich z. B. in Thrillern, in Science-Fiction, manchmal sogar in Liebesromanen. Gerade deswegen ist er so interessant – die Grenzen sind fließend.
Schenken kann man meine Bücher am besten denjenigen, die gerne in die Köpfe der Figuren eindringen und ihre Abgründe erforschen möchten.

Schreibtrieb: Was ist das tollste Kompliment, das du je zu deinen Büchern bekommen hast?

Nicole Siemer: Das tollste Kompliment war: »Ich liebe deinen Schreibstil!« Das bedeutet mir sehr viel, da ich dauernd unsicher bin und viele Selbstzweifel habe. Manchmal grüble ich über die einfachsten Sätze und habe plötzlich ein Brett vor dem Kopf und das nur, weil diese leise Stimme in mir sagt: »Du kannst das nicht. Wozu schreibst du überhaupt?« Deswegen tue ich mich auch sehr schwer mit Eigenwerbung.

Wenn ich dann so ein tolles Kompliment erhalte, hilft mir das, am Ball zu bleiben, wenn die Zweifel drohen, überhandzunehmen.
Im Grunde freue ich mich über jedes noch so kleine Kompliment. Aber der oben genannte Satz ist mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Schreibtrieb: Was ist dir beim Schreiben das Wichtigste?

Nicole Siemer: Meine Ruhe und/oder das Schnurren meines Katzenmanns. Ich schreibe selten mit Musik, nur wenn meine Mitbewohnerin zu laut ist 😉 Aber dann auch nur bei Instrumentalmusik. Ansonsten bevorzuge ich Naturklänge oder tatsächlich absolute Stille.

Spikey, mein kleiner Rollmops, leistet mit gerne in meinem Büro Gesellschaft und wenn er mich nicht gerade vom Schreiben abhält, weil er Hunger hat oder knuddeln möchte, legt er sich in sein Bettchen und schnurrt leise. Das beruhigt mich sehr und fördert meinen Schreibflow.
Kaffee ist allerdings auch sehr wichtig.

Schreibtrieb: Oh, den Mops würde ich ja gerne einmal kennenlernen. Kommen wir zum Abschluss zu den Assoziationsfragen. Bereit? Los geht’s.

Heiße Schokolade mit Marshmallows oder Eis mit Karamell: Eis mit Karamell

Stern oder Mond: Stern

Lila oder Orange: Orange

Löwe oder Wolf: beides

Decke oder Kissen: Decke

 

Reingelesen

Damit ihr ihre Todessamen kennen lernen könnt, hat Nicole Siemer euch eine exklusive Leseprobe mitgebracht. Wenn ihr eines von drei ebooks gewinnen wollt, verratet Eva im Formular, welches Gefühl eurer Meinung nach für einen Dämon am unverständlichsten wäre. Eine Rezension von Todessamen findet ihr außerdem hier.

Das Gewinnspiel läuft ausschließlich bei Eva auf dem Blog und geht bis zum 21.12.19, 23:59, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Zum Gewinnspiel

 

Und hier die versprochene Leseprobe:

Der Grubinger Stadtforst erstreckte sich vor ihr. Im Inneren des Waldes sah es düster und unheimlich aus. Die Sonne hatte sich hinter einer diesigen Wolke versteckt, so wie ein Kinobesucher, der zwischen zwei Fingern hindurch eine Horrorfilmszene verfolgte. Das Tageslicht wurde von knorrigen, dicht stehenden Bäumen abgeschirmt. Keine Vogelstimmen drangen durch das Geäst der Baumriesen zu ihr durch. Im Grubinger Forst herrschte stets eine unnatürliche Stille. Es wirkte, als mieden selbst die Tiere den Wald. Nur Cheshire schien sich hinein zu trauen. Jessie starrte wie hypnotisiert in den Forst und einmal keuchte sie voller Panik, da sie im Dunklen zwischen den Bäumen eine versteckte Gestalt entdeckte. Als sie jedoch blinzelte, war diese verschwunden.

»Das reicht«, sagte sie und wollte gerade umdrehen und die Suche nach Cheshire aufgeben, als sie die Katze aus dem Gebüsch springen sah. Sie hatte das Fell gesträubt und der Schweif war auf den doppelten Umfang angeschwollen. Sie fauchte und wich rückwärts vor dem Wald – oder etwas im Wald – zurück.

Die Härchen in Jessies Nacken und auf den Armen stellten sich auf. Blitzschnell drehte Cheshire sich um und sauste an ihr vorbei.

Etwas beobachtete sie. Im Bruchteil einer Sekunde spielten sich verschiedenste Szenarien vor ihrem geistigen Auge ab. Jessie hing aufgespießt an einem Ast – Blut rann ihr über das Kinn. Dann umschlossen Ranken ihre Arme und Beine und zerrten an ihr, bis sie in ihre Einzelteile zerrissen war. Als Nächstes irrte sie durch den Wald, während schlurfende Schritte sie verfolgten. Jessie stolperte über eine Wurzel und stürzte einen Abgrund hinunter, der sich plötzlich zu ihren Füßen auftat. Und im gleichen Moment sah sie sich nach dem Stolpern mit dem Kopf auf einen Stein krachen, der ihr nicht nur den Schädel spaltete, sondern zudem das Genick brach. Die alte Hexe tauchte vor ihr auf und lächelte. Statt Augen starrten leere Höhlen auf Jessie herab und als das Monster die Zähne zeigte, entblößte es ein Haifischgebiss, während ihm Speichel aus dem Mundwinkel rann.

Sie ist mir gefolgt. Oh, Gott, sie ist mir gefolgt und jetzt wird sie mich in den Wald verschleppen. Sie wird mich verschleppen und braten. Jessie-Braten. Sie holt sich endlich ihren Jessie-Braten.

Jessies Herz schlug mit der Macht einer dampfenden Lokomotive, aber statt mit Volldampf davonzurasen, verharrte sie in grässlicher Erwartung.

Eine huschende Bewegung aus dem Augenwinkel löste ihre Starre.

Dann sah sie ihn.

Jessie sog hörbar Luft durch die Nase ein. Sie kniff die Augen zusammen, zählte im Geiste bis zehn, so wie sie es in dem Film Shining gesehen hatte (einer der größten Fehler ihres Lebens, ebenso wie das Lesen von Cujo), und öffnete sie wieder.

Am Rande des Wanderwegs stand ein Mann. Jessie schätzte ihn auf Anfang zwanzig. Er hatte blondes Haar, aus dem spitze Ohren lugten und trug braungrüne Kleidung. Diese erinnerte an Gras, das zu lange von der Sonne gedörrt worden war. Barfuß wartete er am Waldrand, er schien die kleinen Steinchen und Äste nicht zu bemerken, die sich in die Fußsohlen bohrten.

Doch am auffälligsten waren seine Augen. Sie leuchteten in einem intensiven Lila. Der Mann lächelte. Anscheinend amüsierte er sich über Jessies verdatterten Gesichtsausdruck, denn er hatte schelmisch eine Augenbraue erhoben. Dann winkte er.

Jessie hob langsam die Hand. Statt zurück zu winken, befühlte sie ihre Stirn. Kein Fieber.

Sie sah Sam so deutlich wie ihre Finger. Aber das konnte nicht sein. Sam war ein Hirngespinst! Ein Fantasiefreund aus vergangenen Tagen, heraufbeschworen, weil sie einsam gewesen war und die Welt ihr gegenüber grausam. Sie hatte ihn sich ausgedacht.

Oder etwa nicht?

Natürlich hast du das!, sagte sie sich und wartete auf Freddies Kommentar dazu. Es folgte keiner. Was ging hier vor? Sam war bei ihrer ersten Begegnung elf Jahre alt gewesen. Sie fünf. Wie konnten sie jetzt gleichaltrig sein?

Wir alle hier sind verrückt, erinnerte Jessie sich an ein bekanntes Zitat aus Alice im Wunderland.

Sam winkte erneut und sein Lächeln wurde breiter. Er wandte die Handfläche nach oben, streckte einen Zeigefinger in die Höhe, krümmte ihn, streckte ihn, krümmte ihn. Er ruft mich zu sich, dachte Jessie. Sams Augen blitzten auf. Fast mit derselben Intensität wie in Jessies Traum. Er stand nur da, schien mit dem Wald verschmolzen zu sein. So als gehörte er dazu. Als wäre Sam ein Teil des Waldes.

»Sam?«, sagte Jessie und zuckte beim Klang seines Namens zusammen.

»Sam?«

Plötzlich machte Sam auf dem Absatz kehrt und rannte in den Wald. Jessie öffnete den Mund, um ihn aufzuhalten, bekam aber keinen Ton heraus.

Was sollte sie tun? Cheshire zurück in die Wirklichkeit folgen oder einem Hirngespinst nachjagen?

Ehe sie sich versah, hatte Jessie bereits den Waldweg überquert und rannte los. Geradewegs in den Grubinger Forst hinein.

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